Ausgabe 6 - 1/2023

Ausgabe 6 - 1/2023

Erschienen im Oktober 2023.

Spätestens seit dem russischen Krieg in der Ukraine ist sie Thema politischer, ökonomischer und kultureller Debatten: Energie. Sabotierte Pipelines, gebrochene Staudämme und beschossene Atomkraftwerke machen die Verletzlichkeit unserer Energieinfrastrukturen greifbar – und die unserer gesamten energieintensiven Lebensform. Das fossile Zeitalter, das Karbon- und Petromoderne ermöglichte, hat in der westlichen Welt weitreichende Freiheitsroutinen etabliert. Zugleich aber untergräbt es die globalen Lebensgrundlagen und macht die Abhängigkeiten sicht- und spürbar, mit denen diese Freiheiten erkauft sind. Damit überlagern sich die vom Krieg angefachten Diskussionen über Versorgungssicherheit mit Debatten, die seit langem über die Notwendigkeit einer postfossilen Kultur geführt werden. Denn: Energieformen prägen Kulturformen.

Geschichte lässt sich immer schon als Geschichte von Energiewenden und Konflikten zwischen Energieregimen lesen. Ideologien von Fortschritt und Wachstum oder Konzepte der Reduktion und des Verzichts flankieren diese Auseinandersetzungen. Dabei wird nicht nur verhandelt, was aus den Leitungen kommt. Als ›energeia‹ bedeutet Energie seit Aristoteles eine Wirkkraft, die ein Potenzielles ins Sein bringt, etwas vor Augen führen kann. Energie ist folglich auch eine poetologische Kategorie. Die
Zusammenhänge zwischen literarischen Schreibenergien und umgebenden Energiekulturen dürften einige Überlegungen wert sein.

In dieser Ausgabe reden wir über die Permanenz der Petromoderne im Krieg und das Energiemanagement der Finanzmärkte. Wir begegnen der Camerata nucleare, dem Kammerorchester der westdeutschen Energiewirtschaft, erinnern uns an autofreie Sonntage in der alten Bundesrepublik und lesen Windradromane der Gegenwartsliteratur. Außerhalb des Schwerpunkts zu Energiefragen aber interessiert uns das Anthropozän als ästhetisches Problem. Und: Wir lauschen fasziniert dem Gesang der Zikaden.

Dritte Natur

Ausgabe 6 - 1/2023 - Alexander Klose / Benjamin Steininger

UkraineAuf den Grenzen der Petromoderne

Als Russland am 24. Februar 2022 seinen Nachbar- und vormaligen Bruderstaat Ukraine militärisch überfiel, zwängten sich eine Weltgegend und eine Krisenform in den Fokus der internationalen Aufmerksamkeit, die schon länger aus dem Blick geraten waren.

Ausgabe 6 - 1/2023 - Susanne Strätling

Energieangst/EnergielustZur Psychoenergetik der Moderne

Wo immer wir es mit Energie zu tun haben, dort sind unausweichlich Emotionen im Spiel.

Ausgabe 6 - 1/2023 - Andreas Folkers

Fossile EnergieexzesseKrieg und Kapital im Zeitalter des Klimawandels

Wenn Statistiken, die sonst nur von Expert_innen Beachtung finden, plötzlich öffentliche Aufmerksamkeit erregen, ist das ein Indiz für ein Problem, vielleicht sogar ein historisches Ereignis.

Ausgabe 6 - 1/2023 - Fabian Zimmer

An den Rändern der TechnosphäreDie Elektrizitätswirtschaft und die Neuvernetzung emotionaler Energien im 20. Jahrhundert

Norra Tresund, ein Weiler an den Ufern des Vojmsjö im nordschwedischen Västerbotten. Es ist der frühe Herbst des Jahres 1955. Ein kleines Filmteam – Regisseur, Kameramann, Produzent – baut seine Ausrüstung auf. Die drei Herren machen im Auftrag von Vattenfall, der Staatlichen Wasserfallverwaltung, Landschaftsaufnahmen für einen Kurzfilm, »einen Idee-Film über Seeregulierungen, einen Film, der in den Kinos ein großes Publikum erreichen soll.«

Ausgabe 6 - 1/2023 - Dariya Manova

Der entgötterte UrwaldRessourcenreichtum und Energiearmut in der Literatur zwischen den Kriegen

Dass die Menschheit von Energie durch die Verarbeitung und Speicherung, die Lenkung und Verteilung natürlicher Ressourcen – also Kohle, Öl, Gas, aber auch Wasser, Sonne und Wind – abhängig ist, fällt erst dann auf, wenn die Flüsse notwendiger Rohstoffe gestört sind.

Ausgabe 6 - 1/2023 - Ingo Uhlig

Energiekultur im GegenwartsromanZu Texten von Juli Zeh, Alina Herbing und Burkhard Spinnen

Die Energiesysteme arbeiteten über Jahrzehnte hinweg im gesellschaftlichen Hintergrund, als wenig wahrgenommene Superstruktur.

Ausgabe 6 - 1/2023 - Susanne Stephan

Die Schrift an der Bande

Die Schrift ist immer noch da, an der Kreuzung, an der ich zu meinem Elternhaus abbiege, war immer schon dort am Weg von der Grundschule und später vom Schulbus nach Haus. Eine Werbebande auf den Resten einer betonierten Mauer, hellgelb grundiert, an den Seiten rot eingefasst, darauf von Hand gemalte, solide schwarze Druckbuchstaben: EMIL BÜRCK, und zarter, schräg laufend: feste u. flüssige Brennstoffe.

Ausgabe 6 - 1/2023 - Lutz Seiler

Hardenbergs AbendGedicht

Ausgabe 6 - 1/2023 - Peter Christian Hall

Zum Lob der Luft, des Lichts, der Sonne und des Lebens: SINGZIKADEN

Wie viele Mitteleuropäer empfinde ich das ohrenbetäubende, landschaftsfüllende Geschrill der Zikaden als den Inbegriff heißer mediterraner Hochsommertage.

Ausgabe 6 - 1/2023 - Thomas Khurana

Altera NaturaDas Anthropozän als ästhetisches Problem

Der Kunst wird seit langem nachgesagt, dem Subjekt ein anderes Verhältnis zur Natur zu eröffnen, als dies die gewöhnliche theoretische oder praktische Erkenntnis ermöglicht.

Ausgabe 6 - 1/2023 - Fotini Mavromati

Staunen an den Rändern der Wald- und Feldwege. Zum Werk von herman de vries

Er gilt als einflussreicher Pionier der Ecological Art. Seine Werke sind in den Sammlungen internationaler Museen vertreten. Mit über 80 Jahren gestaltete er den holländischen Pavillon für die Biennale in Venedig. herman de vries, 1931 im niederländischen Alkmaar geboren und seit 1970 im fränkischen Eschenau lebend, ausgebildeter Gärtner, war in den 1960er Jahren Mitarbeiter des »Instituts für angewandte biologische Forschung in der Natur« in Arnheim.

Ausgabe 6 - 1/2023 - Bernhard Malkmus

Ulrike Draesner oder Die Kunst des Nüsseknackens

Vor wenigen Jahren fanden wir ein winziges Päckchen aus Norwegen im Briefkasten. Der Absender: Dr. Fiona Danks, Sverdrupstasjonen, Norsk Polarinstitutt, Ny Ålesund, Svalbard.

Ausgabe 6 - 1/2023 - Tanja van Hoorn

»Kleines Lesestück über den Umgang der Dinge miteinander«Esther Kinsky am Tagliamento

Der Tagliamento ist ein, ja, man muss wohl sagen: der Fluss des Friaul. Er entspringt am Mauriapass in den südlichen Karnischen Alpen und mündet nach ca. 170 km bei Bibione in die Adria.

Ausgabe 6 - 1/2023 - Richard Kämmerlings

Fragen an SchafeZur Lyrik und Prosa von Levin Westermann

Es gibt einen Song der kanadischen Indierock-Band The Weakerthans, der einen etwas komplizierten Titel trägt: Our Retired Explorer (Dines with Michel Foucault, 1961). Der Song vom Album Reconstruction Site von 2003 handelt von einem Polarforscher im Ruhestand, der mit dem französischen Philosophen zu Abend isst, vermutlich in Paris.