Ausgabe 6 - 1/2023 - Ingo Uhlig

Energiekultur im GegenwartsromanZu Texten von Juli Zeh, Alina Herbing und Burkhard Spinnen

Die Energiesysteme arbeiteten über Jahrzehnte hinweg im gesellschaftlichen Hintergrund, als wenig wahrgenommene Superstruktur. Das zeigt ein rascher Blick ins Jahr 1997: Damals fasste Niklas Luhmann in Die Gesellschaft der Gesellschaften die Versorgung mit Basisressourcen wie Energie oder Wasser als »nichtnatürliche  Selbstverständlichkeiten«. Was die deutsche Soziologie hier vielsilbig auf den Begriff brachte, entsprach jenen knappen Redewendungen, die besagten, dass der Strom aus der
Steckdose oder das Wasser aus der Wand komme. Die Ressourcen und Infrastrukturen der Energie waren kaum bewusst, es gab wenig Kapazität für ihre Wahrnehmung. Der Klimawandel, die Klimaproteste seit dem Ende des vergangenen Jahrzehnts und nun der Krieg Russlands gegen die Ukraine haben die Lage verändert: Energie zieht alle Aufmerksamkeit auf sich, ihre Wahrnehmung hat sich intensiviert. Sie wurde zum Krisenphänomen, zum akuten Problem unserer Gegenwartsgesellschaften – ökologisch und geopolitisch.

Die nachfolgenden Lektüren widmen sich literarischen Texten, die von der gegenwärtigen Energiewende erzählen und dabei in die Vor- und Frühgeschichte dieser Intensivierung fallen. Es handelt sich um Romane von Juli Zeh, Alina Herbing und Burkhard Spinnen, die zwischen 2016 und 2019 erschienen sind. Der Leitfaden der Lektüren besteht darin zu klären, was diese Texte hinsichtlich des Verhältnisses von Energiewende und Gesellschaft ans Licht bringen. Was lernt man über die Transformation
und – weitaus interessanter – was lernt man für sie?