Ausgabe 6 - 1/2023 - Richard Kämmerlings

Fragen an SchafeZur Lyrik und Prosa von Levin Westermann

Es gibt einen Song der kanadischen Indierock-Band The Weakerthans, der einen etwas komplizierten Titel trägt: Our Retired Explorer (Dines with Michel Foucault, 1961). Der Song vom Album Reconstruction Site von 2003 handelt von einem Polarforscher im Ruhestand, der mit dem französischen Philosophen zu Abend isst, vermutlich in Paris. Der Forscher erzählt von seinen Expeditionen zum Südpol; von den Ausführungen des Philosophen ist er offenbar eher verwirrt: »I’m not entirely sure what you talking about«, er will dann aufbrechen, »just one more drink«, weil er seine Hunde noch füttern müsse. Dann fällt dem Forscher plötzlich auf, dass sein Gegenüber in einem bestimmten Licht wie Shackleton aussieht, was ihn wieder auf sein Lieblingsthema bringt. »Yes, a penguin taught me French/ back in Antarctica.« Da bleibt er doch noch und beginnt immer begeisterter von der Antarktis zu schwärmen, von den Schatten dort, den abbrechenden Eisbergen, der Polarnacht. »Thank you for the flowers and the book by Derrida/ But I
must be getting back to dear Antarctica.« Ob er, Foucault, ihm nicht ein Schiff leihen könnte und ein Dutzend fähiger Männer?  Weakerthans-Sänger John K. Samson beschwört am Ende mehrfach den fernen, geheimnisvollen, menschenleeren Kontinent, den Sehnsuchtsort am anderen Ende der Welt. »Oh, Antarctica«. Die unerforschte, unvermessene, unkartierte Natur als Gegenbild zu den Abstraktionen des Geistes, den leeren Begriffshülsen der Philosophie. Wirklichkeit statt Theorie, Shackleton statt Foucault.

Auch in Levin Westermanns Essay Titan Dome spielt der Antarktisforscher Sir Ernest Shackleton eine wichtige Rolle. Shackleton, der von 1874 bis 1922 lebte, ist einer der Protagonisten der heroischen Epoche der Polarexpeditionen, der trotz seines Scheiterns – den Südpol erreichte er nie – zu einem Mythos wurde. (Wir alle kennen die  dramatische Geschichte der im Packeis zermalmten Endurance und die spektakuläre Rettung.) Westermann berichtet, wie er bei einem längeren Aufenthalt in Paris, bei dem er vor allem Expeditionen in die Antiquariate unternahm, einen opulenten Band erwarb: South: The Illustrated Story of Shackleton’s Last Expedition 1914–17.

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