Ausgabe 2 - 2020 - Petra Steinmair-Pösel

Erkaltete Liebe und globale Erwärmung.Überlegungen zu Ökologie und Apokalyptik im Anthropozän im Anschluss an René Girard

Am Beginn seines letzten großen Werkes, des Dialogbandes Im Angesicht der Apokalypse. Clausewitz zu Ende denken, beschreibt der franko-amerikanische Kulturanthropologe René Girard im Jahr 2007 die Gegenwart als apokalyptische Ära – und damit als eine Zeit, in der sowohl immense Bedrohungspotenziale als auch rettende Kräfte in dramatischer Weise anwachsen. Zwar liegt Girards Hauptaugenmerk nicht auf dem anthropogenen Klimawandel, dem Anstieg des Meeresspiegels oder der Zerstörung menschlicher Lebensräume, sondern auf der Eskalation der Gewalt. Dennoch können seine Überlegungen als ein erhellender Beitrag zum Verständnis der Rolle von Religion – und hier besonders der jüdisch-christlichen Tradition – im Anthropozän gelesen werden.

 

René Girards mimetische Theorie – Ein Überblick

In Girards mimetischer Theorie spielen drei Konzepte eine wichtige Rolle: mimetisches Begehren, Sündenbockmechanismus und die Rolle der jüdisch-christlichen Tradition. Die Grundlage Girard’schen Denkens bildet – sowohl chronologisch als auch systematisch betrachtet – die Einsicht, dass Menschen zutiefst mimetische Wesen sind. Dabei geht es nicht nur um die Erkenntnis, dass Menschen durch Nachahmung lernen, was am Beispiel kindlichen Spracherwerbs beobachtet werden kann. Das Mimesis-Verständnis Girards setzt viel tiefer an: bei der menschlichen Erfahrung eines fundamentalen, aber inhaltlich unbestimmten Wünschens. In dieser Situation wenden wir uns anderen Menschen zu in der Hoffnung, dass deren Begehren uns zeigt, wonach wir streben sollen, um den empfundenen Mangel zu beseitigen und die Unruhe in unseren Herzen zu stillen. Auf diese Weise beginnen wir, uns das zu wünschen, von dem wir sehen oder glauben, dass andere es begehren. Girard beschreibt diesen Ursprung des Begehrens folgendermaßen: „Sind seine Primärbedürfnisse einmal gestillt – zuweilen sogar schon vorher –, ist der Mensch von intensiven Wünschen beseelt, weiß aber nicht genau, was er wünscht: Er begehrt das Sein – jenes Sein, das ihm seinem Gefühl nach fehlt und von dem ihm scheint, ein anderer besitze es. Das Subjekt erwartet von diesem anderen, dass er ihm sagt, was gewünscht werden muss, um dieses Sein zu erlangen.“ Diese mimetische Orientierung am anderen führt jedoch rasch zu Rivalität und Konflikt: Wo zwei Menschen dasselbe begehren, wird aus dem Vorbild rasch ein Hindernis und ein Rivale.

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